Meine vierte Woche als Studentin über 40 ist vorbei. Zeit für einen Zwischenbericht. Oder anders gesagt: Endlich finde ich Zeit für einen Zwischenbericht.

Das Semester hat zwar erst vor zwei Wochen offiziell angefangen, aber bereits zwei Wochen vorher startete das Mathe-Repetitorium, also der Mathe-Auffrischkurs. Ich hab ja schon berichtet, wie ich in dieser Mathe-Wiederholung kurz vorm Heulkrampf fast den Hörsaal verlassen hätte.

Und nachdem das Semester dann so richtig startete, weitete sich das „Ich kann das nicht, ich heul‘ gleich“-Gefühl aus auf Physik, Chemie und Technische Mechanik. Und so habe ich die letzten vier Wochen eine Achterbahnfahrt hinter mir: Panik und Begeisterung. Müdigkeit und Motivation. Entsetzen und Enthusiasmus. Ein ständiges Schwanken zwischen „Du spinnst wohl! Was war das für ne Schnapsidee über 40 nochmal zu studieren!“ und „Wird schon werden.“

Zweitstudium über 40 – noch ein BWLer, der umsattelt

Zuerst mal: Ich habe eine Mail von jemandem bekommen, der quasi in der exakt gleichen Situation ist wie ich: Jahrgang 1972, im Erststudium BWL studiert, die erwachsenen Kinder studieren und er startete ebenfalls in diesem Semester ein Ingenieurstudium. Ich bin begeistert!

Leider habe ich nicht mehr von ihm gehört. Ich kann nur vermuten, dass er – wie ich – völlig erschlagen ist von all dem Input, der auf uns einprasselt. Er berichtete, dass er sich mit den Videos von Daniel Jung auf Mathe vorbereitet hat. Wie genial! Ich wünschte, ich hätte Daniel Jung früher gefunden. Er ist der absolute Mathe-Erklärgott!!! Und überhaupt wünschte ich, ich hätte mich mehr auf Mathe konzentriert als Vorbereitung auf mein Studium. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich eine Sache, die ich mal so gut konnte so grandios vergessen könnte. In der Sprache der Mathematik wurde ich in den letzten Jahrzehnten während meiner BWL-Karriere offensichtlich zum Analphabeten.

Höhere Mathematik für Anfänger

Während der zwei Wochen Mathe-Repetitorium versuchte ich so viel wie möglich nachzuholen. Den Tag über war ich an der Uni bei den Vorlesungen und Übungen und abends zog ich mir Mathe-Erklärvideos rein und las zwei „Mathe für Dummies“ Bücher parallel (Algebra und Vorkurs Mathematik für Ingenieure). Trotzdem war ich in den Übungen fast immer die, die keine Ahnung von gar nix hatte. Innerhalb von zwei Wochen auf Mathe-Abiturniveau zu kommen klappt halt selbst mit den besten Tools nicht.

Die 18jährigen um mich herum waren mit den Aufgaben allerdings unterfordert. Die meisten hatten gerade Abi gemacht und waren noch voll im Thema. Gleichzeitig schienen sie sich richtig darüber zu freuen, mir etwas erklären zu dürfen. Und überhaupt: was für eine wundervolle Generation sind diese „Kids“, die gerade um die 20 sind! Ich fühle mich in ihrer Mitte fast wohler als damals in den 90ern als junge BWL-Studentin inmitten meiner Generation.

Studieren über 40 – die älteste im Hörsaal

Eines hat meine Generation und die direkt davor wohl richtig gemacht: sie hat wirklich emphatische, nette Kinder erzogen und so studiere ich nun inmitten dieser intelligenten, jungen Erwachsenen. Ich bin wirklich überwältigt und begeistert von der Freundlichkeit und Offenheit meiner Kommilitonen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich so wohl und gut integriert fühle. Vom ersten Tag an klappte das Miteinander super und dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Ich bin Teil einer 6köpfigen Truppe zwischen 18 und 20 Jahren – und ich, die 44jährige. Wir tauschen uns täglich über WhatsApp aus, halten uns Plätze in der Vorlesung frei und brüten gemeinsam über den Mathe-Aufgaben.

Aber auch jenseits dieser Gruppe ist es überhaupt kein Problem mit Leuten ins Gespräch zu kommen oder Hilfe zu erhalten. Alle sind total offen und viele sind neugierig, mich kennenzulernen. Mehrmals wurde ich bereits angesprochen im Sinne von: Du siehst älter aus, was hat Dich bewogen nochmal zu studieren?

Technik- und IT-affin sein hilft beim Studium über 40

Inzwischen ist der gesamte Studiengang in einer WhatsApp Gruppe organisiert und per SnapChat vernetzt. Facebook nutzt keiner mehr. Das war nur für den Einstieg und das erste Kennenlernen ehe man Handynummern austauschte. Meine Technik- und IT-affinität hat mir da echt geholfen. Wäre ich hier nicht up to date, gäbe es eine Kommunikationslücke zwischen mir und meinen jungen Kommilitonen.

Meinen gleichaltrigen Freunden gehe ich oft mit meinem Fable für den neusten Schrei in Sachen Social Media auf den Keks. Erfolglos habe ich zum Beispiel versucht, sie für SnapChat zu gewinnen. Bei meinen Kommilitonen ist das alles so selbstverständlich wie Essen und Trinken. Jeder hat einen WhatsApp und SnapChat Account. Und ich habe nun endlich eine umfangreiche Freundeliste bei SnapChat 😉

Meine Technik-Begeisterung führte dazu, dass ich mich für ein papierloses Studium entschieden habe. Statt Block und Stift arbeitete ich von Anfang an mit dem iPad Pro. Mittels Apple Pen schreibe ich dort handschriftlich rein und habe mit diesem kleinen Gerät immer alle Folien und Skripten bei mir. In den ersten Tagen des Studiums hatten alle anderen natürlich noch das Schreibmaterial aus der Schule dabei: Zettel und Stift. Und so weckte mein iPad das Interesse meiner Kommilitonen: „Dein iPad ist der Superstar. Alle unterhalten sich darüber.“ verriet mir eine Kommilitonin. Und inzwischen sind viele auf iPad oder Surface umgestiegen. Aber am Anfang war das ein echter Ice Breaker und tolle Möglichkeit mit den anderen ins Gespräch zu kommen.

Mensa vs. Kantine

In der Mensa drehten sich die Tischgespräche anfangs um Schule und Klassenfahrten. Im Stillen verglich ich es mit den Mittagspausen in der Kantine des Konzerns für den ich bis vor kurzem gearbeitet hatte. Statt über Schule und Klassenfahrten drehen sich dort die Tischgespräche um  das Konzerngeschehen und teure Fernreisen, die man gerade plante oder aus denen man gerade zurück war. Im Endeffekt also das gleiche, nur mit anderen Vorzeichen. Und da ich alles rund ums Abitur –  passiv – gerade bei meinen Kids erlebt hatte, war ich gut im Thema. 😉

Sexismus an der Technischen Fakultät

Was jedoch ein großer Unterschied zwischen dem Alltag in einem Konzern und an der Uni ist: der offen gelebte Sexismus an der Technischen Fakultät. Klar gibt es Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auch in Firmen. Aber eben subtil. Man will ja schließlich keinen Ärger. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und so.

An der Uni scheint das AGG jedoch noch nicht angekommen. Die bisher durchweg männlichen Professoren zelebrieren das Patriarchat und überholte Rollenverständnisse. Nach vielen Jahren im Berufsleben, mehreren AGG-Schulungen und politisch korrektem Habitus werde ich jetzt Jahrzehnte zurück geschmissen in ein Land in dem Frauen entweder nicht existieren oder schmückendes Beiwerk sind. Ich bin schockiert. Die ersten paar Vorlesungen war wie die ersten paar Folgen Mad Men ansehen: „Das hat er doch nicht gerade ernsthaft gesagt“-Schock gefolgt von langsamer Gewöhnung an dieses unfassbare Gebären.

Ein paar Beispiele gefällig? Der Prof im Mathe-Repetitorium ging auf die Bezeichnungen der  Achsen im Koordinatensystem ein und meinte dann, dass man mit diesem Wissen aber keine Frau auf einer Party beeindrucken könne. Ein paar männliche Kommilitonen lachten. Die Frauen nicht. Sie hatten gerade erfahren, dass  man wohl annahm, dass sie gar nicht im Raum waren. Oder dass das zarte Gehirn von Frauen kein Interesse an den Bezeichnungen des Koordinatensystems hat. Oder vielleicht auch die Kapazität nicht für derartiges Detailwissen. Grundsätzlich aber vor allem Objekt der Begierde waren und nicht Teil dieser Vorlesung. Willkommen und wahrgenommen fühlt man sich als Frau an der technischen Fakultät damit jedenfalls nicht.

Und es ging eifrig so weiter: in Chemie redete der Prof bei der Sicherheitseinweisung von hübschen Beinen, hohen Schuhen und langen Haaren, die es im Labor zu schützen galt. In einem anderen Fach warnte der Prof, dass nun ein paar Fotos von Missbildungen kommen und die Damen im Raum, die das nicht vertragen, sollten nun besser wegsehen. Ich bin erst vier Wochen an der Uni aber ich könnte noch viele weitere Beispiele bringen. Entsetzlich.

BWLer und andere Feinde

Eher erheiternd fand ich das BWLer-Bashing, das ebenfalls bereits in der ersten Woche an der Uni losging. Der Prof berichtete vom zukünftigen Leben als Ingenieur. Da würde man im Meeting BWLern gegenübersitzen, die keine Ahnung hätten von was man spricht und die dann irgendwelche technischen Sachen erwarten, die sich nicht realisieren lassen.

Und ich erinnere mich an „Das lässt sich nicht realisieren“-Meetings, die ich in meinem Leben mit Ingenieuren hatte und mir kommt der Gedanke: Vielleicht sollte man an technischen Fakultäten statt BWLer-Bashing besser ein Fach einführen: „Technik verständlich erklären und andere nützliche Soft Skills“. Das würde sicherlich zielführender sein, als BWLer als böse Manager hinzustellen, die das unmögliche von einem fordern, weil sie nix verstehen.

Andererseits ist gab es das gleiche in grün ja im BWL-Studium. Da wurden in der Marketing-Vorlesung die Ingenieure belächelt, die begeistert irgendwas entwickeln weil’s technisch möglich ist. Nur halt leider am Markt vorbei.

Und so pflegt halt jede Seite ihre Vorurteile. Aber am Ende des Tages arbeiten immer Menschen zusammen, egal, was sie vorher studiert haben. Und am Ende klappt das ja doch meist ganz gut. Und daher nehme ich das BWLer-Bashing mit Humor.

Soweit erstmal ein paar Eindrücke von der Uni. Im nächsten Beitrag gibt’s dann einen nach innen gerichteten Blick: Wie ich mit dem vielen Stoff umgehe. Welche Auswirkungen mein Leben an der Uni auf meinen Geist und meinen Körper hat. Ich berichte darüber wie mein Tagesrhythmus aussieht. Und wie ich das alles mit meiner Selbständigkeit unter einen Hut bekomme. – Sobald ich die Zeit dafür finde…