Die Antwort: Gar nicht. Es ist leider nicht möglich, neben meinem Studium selbständig tätig zu sein.

Ich bin seit über sieben Jahren nebenberuflich selbständig. Und zwar neben meinem Vollzeitjob als Führungskraft in einem Konzern. Der Plan war, diese stundenweise nebenberufliche Selbständigkeit auch während des Studiums weiterzuführen und so meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Meine Selbständigkeit ist zeitlich flexibel. Entsprechend hatte ich ab Semesterbeginn im Oktober die Kundentermine so gelegt, dass ich sie super mit meinen Vorlesungen vereinbaren konnte. Soweit die Theorie.

Verzicht auf Einkünfte

In der Praxis stellte sich schnell heraus, dass ich jede freie Minute außerhalb der Vorlesungen benötigte, um alles nachzuarbeiten, Hausaufgaben zu bearbeiten oder Lücken im Grundwissen zu erarbeiten. Schnell sah ich ein, dass das mit der Selbständigkeit nicht klappt, stornierte alle Kundentermine bis Dezember und vertröstete meine Kunden auf neue Termine ab Januar – auch auf die Gefahr hin, sie für immer zu vergraulen. Das ist mir extrem schwer gefallen, denn es hat ja einiges an Energie und Herzblut gekostet, mein Business überhaupt aufzubauen. Ganz abgesehen davon, dass meine Kunden sich ja teilweise schon lange auf den Termin gefreut hatten und ich sie nur ungern enttäuschen wollte.

Aber es musste sein, wenn ich den Anschluss im Studium nicht verlieren wollte und ich sah es als als Übergangsphase bis ich mich in den Studienalltag eingefunden hätte. Bis ich auf das Wissensniveau meiner Kommilitonen aufgeschlossen hatte.

Jetzt ist es Mitte Dezember und mir schwant, dass ich auch im Januar keine Kundentermine annehmen kann. Im Februar sind Prüfungen, das heißt im Januar ist Lernphase – zusätzlich zu Praktika, die neben den Vorlesungen und nach den Prüfungen in den Semesterferien abzuleisten sind. Und im neuen Semester würde es nicht anders aussehen: Organische Chemie, Physikalische Chemie, Mathematik II, Technische Mechanik und eine Reihe anderer Fächer stehen dann an – plus die Fächer, die wiederholt werden müssten, falls ich durchfalle. Mein Stundenplan würde sich also nicht entspannen.

Verzicht auf Freizeit

Aber die Selbständigkeit ist nicht das einzige, das zurücktreten musste. Seit Studienbeginn habe ich nur an zwei Abenden Freunde getroffen. Alle anderen Verabredungen mit Freunden hatte ich abgesagt. Selbst für Familienfeiern, Geburtstage und Co fand ich keine Zeit mehr. Auch nicht für meinen eigenen, 45. Geburtstag. Auch nicht für den 75. meiner wunderbaren Schwiegermutter. Den einzigen Luxus, den ich mir gönnte war eine Stunde Fitnesstraining dreimal die Woche. Und das auch nur, weil wissenschaftliche Studien belegt hatten, dass durch intensives Körpertraining das Gehirn leistungsfähiger wird. Ich habe nicht übertrieben, als ich sagte alles in meinem Leben richtet sich auf das Studium aus.

Da ich jeden Abend bis spät in die Nacht vor dem Schreibtisch saß, statt den Abend wie sonst gemeinsam mit meinem Mann zu verbringen, ließ er irgendwann den Hund aufs Sofa. Bisher war das ein absolutes No-go gewesen. Aber ich schätze, mein Mann war nach einer Zeit einfach einsam im Wohnzimmer und ich kann es ihm nicht verübeln. Ich bewundere ohnehin, wie gelassen er mit meinem Vollzeitprogramm umging. An einem der beiden Abende mit Freunden berichtete er von meinem Programm: „Wenn alle so hart arbeiten würden wie meine Frau, würde das Bruttosozialprodukt massiv gesteigert. Sie ist von morgens bis spät spät in die Nacht beim Lernen und zwar von Montag bis Freitag und das gesamte Wochenende über.“ Er hat Recht. So ist es. Und erst als er es sagte, wurde mir das so richtig bewußt.

Tränenreiche Entscheidung

Ich musste mich also entscheiden: Weiterhin Vollzeit-Studentin sein und mein Gewerbe aufgeben oder das Studium aufgeben und mein Gewerbe weiterführen. Beides gleichzeitig klappt nicht. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die einen Mann als Altersvorsorge oder Einkommensquelle ansehen. Ich habe immer selbständig für mich und meine Kinder gesorgt und lege auch großen Wert auf diese Unabhängigkeit. Studium hin oder her: Ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen und möchte zudem noch meine beiden Kinder bei deren Studium unterstützen. Ich könnte nun weiterhin von erspartem Leben – ohne zu wissen, ob sich das am Ende lohnt. Es könnte gut sein, dass dabei mein Erspartes draufgeht, ohne dass ich das Zweitstudium schaffe.

Vor wenigen Tagen habe ich daher entschieden, das Experiment Zweitstudium über 40 zu beenden. Ein tränenreiches Ende, denn das Studium bereitet mir wahnsinnig viel Freude. Aber ich habe eben auch mit viel Mühe ein erfolgreiches, kleines Unternehmen aufgebaut und habe die Verantwortung für mich und meine Kinder zu sorgen. Trotzdem besuche ich noch weiterhin ein paar Vorlesungen, vor allem in Physik und vielleicht auch nächstes Jahr in Organischer und Physikalischer Chemie. Ich finde das alles viel zu spannend und interessant. Und ich habe ja auch fantastische, junge Kommilitonen, mit denen ich in die Vorlesung gehen kann.

Fazit: So klappt studieren über 40

Ich möchte diesen Beitrag mit einem Fazit beenden. Welche Vorraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Studium über 40 klappt? Vor und während meines Studiums habe ich einige andere ältere Studenten kennengelernt. Persönlich oder über Internet. So konnte ich mir einen guten Überblick darüber verschaffen, unter welchen Umständen ein Zweitstudium gut klappt und ich habe alles hier zusammengetragen.

Naturwissenschaften vs. Geisteswissenschaften

Einen Geisteswissenschaftlichen Studiengang zu wählen ist sicherlich einfacher als das Studium der Naturwissenschaften oder Ingenieurwesen. Der Grund ist ganz einfach: In der Naturwissenschaft und im Ingenieurwesen baut jedes Fach auf das Wissen des Gymnasiums auf. Wenn Du das nicht frisch parat hast, wirst Du nicht so einfach mithalten können. Ganz anders sieht es in den Geisteswissenschaften aus. Zwar brauchst Du auch in BWL höhere Mathematik, aber da hast Du dann halt nur ein Fach – also Mathe – bei dem Du den Stoff des Gymnasiums auffrischen oder nachholen musst. Alle anderen Fächer fangen bei Null an und Vorkenntnisse sind nicht weiter erforderlich.

In den Naturwissenschaften oder im Ingenieurwesen kommst Du nur schwer mit, wenn Du nicht vor kurzem Abi auf einem naturwissenschaftlichen Gymnasium gemacht hast. Bei uns im Studiengang gab es zum Beispiel eine Kommilitonin, die zwar in diesem Jahr Abi gemacht hat – aber eben in Religion und Musik (oder so). Für sie war schnell klar: das wird nichts und wie’s aussieht wird sie wohl den Studiengang wechseln und Grundschullehramt studieren. Wenn Du also viele Jahre nach dem Abi ein Studium beginnen willst, wirst Du es wesentlich leichter haben mit BWL, Jura, Politikwissenschaften oder sonstigen Geistes- und Sozialwissenschaften.

Bereite Dich intensiv vor

Falls Dich das nicht abhält und Du trotzdem ein naturwissenschaftliches Studium oder einen Ingenieurstudiengang wählst (was ich nur zu gut verstehen kann), dann kündige ein Jahr vor Studienstart Deinen Job und bereite Dich in dieser Zeit intensiv auf das Studium vor. Das bedeutet: gehe schon mal in die Vorlesungen (wird keinem auffallen!) und verschaffe Dir einen Überblick über die Inhalte. Aber lasse Dich um Himmels Willen nicht abschrecken von der Stofffülle. Hole Dir einen Ausweis für die Universitätsbibliothek und lese die relevante Literatur zu jedem Fach. Lese alles. Alle dicken Bücher. Bei mir wäre das gewesen: Das 20 cm dicke Chemiebuch, das 15 cm dicke Physikbuch und mehrere Mathe-Bücher. Mache Mathematik-Übungen zur Algebra und Analysis. Werde wieder fit im Integrieren, Differenzieren und Terme umformen. Du wirst gar nicht glauben, wie sehr Du darin eingerostet bist. Und ja, Du wirst das alles brauchen. Versprochen.

Ich habe den Fehler gemacht, vor Studienbeginn nur mit den Videos von The Simple Club zu lernen. Und das war definitiv nicht ausreichen. Simple Club ist super zur Unterstützung, falls man was nicht verstanden hat. Aber um sich Themen zu erarbeiten ist es zu oberflächlich. Nach einem Jahr Vorbereitung wirst Du zwar immer noch nicht so fit sein wie die Abiturienten, aber Du wirst zumindest in Grundzügen eine Ahnung haben, von dem was sie wissen und was Dich im Studium erwarten wird. Und vor allem: die Zeit, die Du im Voraus investiert hast wirst Du im Studium zur Verfügung haben. Denn da gibt’s noch genug anderes zu tun als Abiturwissen nachzuholen.

Privathochschule vs. Universität

Sobald Du eine Hochschule besuchst, bei welcher Du Studiengebühren zahlst, werden die Anforderungen weniger strikt sein als auf einer Universität. Zum Beispiel kann man beim Jura-Studium an der Fernuniversität Hagen viermal durch eine Prüfung fallen und selbst danach gibt es noch Mittel und Wege, wie mir eine Studentin der Fernuni Hagen berichtete. An der Universität bist Du raus, falls Du nicht beim 2. Mal bestanden hast. Später im Studienverlauf darf man eine Prüfung auch dreimal schreiben, aber in den ersten Semestern ist das strenger. Aussieben nennt man das. In meinem Studiengang zum Beispiel muss man innerhalb von drei Semestern mindestens 30 Credits in 6 Fächern gesammelt haben und dabei darf man maximal einmal durchfallen. Andernfalls ist man raus.

Ganz anders bei den Privathochschulen. Die würden sich ja ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie ihre zahlenden Kunden von der Hochschule prüfen. Deshalb ist es leichter, an Privathochschulen durchzukommen als an einer Universität. An einer Privathochschule braucht es eben Geld und etwas Durchhaltevermögen, dann klappt das mit dem Abschluss. Das ist sicherlich auch einer der Gründe, weshalb ein Studium an einer Universität in der Wirtschaft höher angesehen ist als ein Studium an einer Schule mit zahlendem Klientel.

Unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern

Neben der Frage ob Privathochschule oder Universität gibt es wohl auch Unterschiede an den Universitäten selbst. Beispielsweise hat man in Berlin ein Recht darauf, jedes Studium in Teilzeit zu absolvieren. Hiervon können wir in Bayern nur träumen. Und selbstverständlich sind auch einzelne Prüfungen an verschiedenen Unis bzw. bei verschiedenen Professoren unterschiedlich schwer. Ich habe mit Studierenden gesprochen, die in einem anderen Bundesland (als Bayern) Chemie im Nebenfach studieren. Die sind aus allen Wolken gefallen, als sie die Fragen meiner Chemie-Probeklausur gesehen haben. Laut ihrer Aussage war die Prüfung bei ihnen nur halb so schwer, zumal sie ihre Unterlagen mit in die Prüfung nehmen durften. An unserer Hochschule ist es nicht erlaubt etwas anderes als den Taschenrechner mit in die Chemie-Prüfung zu nehmen. Wir müssen alle Formeln auswendig lernen. Und wir müssen auswendig wissen, was entsteht wenn Stoff A mit Stoff B reagiert oder mit welchem Stoff ein anderer reagiert hat, wenn Gase einer bestimmten Farbe entstehen. Andere Länder, andere Sitten gilt eben auch innerhalb Deutschlands. Und ich vermute, dass Du’s etwas leichter hast, wenn Du in einem Bundesland studierst, das auch für entspanntere Schulsysteme bekannt ist.

Staatsexamen vs. Bachelorstudiengang

Wähle einen Studiengang, der Dir die Freiheit gibt, das Studium zeitlich nach Deinen Wünschen zu gestalten. Und das hast Du – neben einem Fernstudium an einer Privatuniversität – nur in einem Examensstudiengang. Ein Bachelorstudium ist (meist) aufgebaut wie ein Schulstundenplan. Jedes Fach an einem bestimmten, zeitlichen Platz und wird auch nur einmal im Jahr angeboten. Theoretisch kann man auch einen anderen Studienverlauf wählen, praktisch macht das keinen Sinn.

Als ich BWL auf Diplom studiert habe, konnte man sich selbst zusammenstellen, welches Fach man wann im Studienverlauf hört. Man hatte auch alle Zeit der Welt, um sein Studium abzuschließen. Selbstverständlich waren wir alle bemüht möglichst schnell fertig zu werden, denn alles andere war nicht gut für den Lebenslauf. Aber zumindest gab es die Möglichkeit selbst zu gestalten. Das ist mit den Bachelorstudiengängen vorbei. Ich hatte gar keine andere Möglichkeit als alle vorgegebenen fünf Fächer in diesem Semester zu hören, denn nächstes Semester werden sie nicht mehr angeboten. Und wenn ich sie erst übernächstes Semester höre und schreibe , muss ich beim 1. Mal bestehen sonst bin ich raus. Denn mehr als drei Semester darf ich nicht für diese Grundsatzfächer brauchen.

In Examensstudiengängen gibt es diese zeitliche Komponente nicht. Hier kann man sich so viel Zeit nehmen, wie man benötigt. Falls Du also den NC hast bzw. die entsprechenden Wartesemester vorweisen kannst: Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie und Jura sind perfekte Examensstudiengänge ohne Zeitdruck. Dann brauchst Du auch das Jahr Vorbereitungszeit nicht. Du kannst alles während des Studiums nachholen. Ich habe einige Medizinstudenten kennengelernt, die schon älter sind und Studium super mit Familie und Job vereinbaren können. Und in meinem Ingenieur-Studiengang gab es eine Kommilitonin, die von Pharmazie zu uns rüber gewechselt hat und die berichtete von mehreren deutlich älteren Studenten in der Pharmazie. Zum Beispiel von einer älteren Dame und einem älteren Herren deutlich über 55. Beide studieren schon so lange Pharmazie an der Uni, dass sie zur Institution geworden sind. Jeder kennt sie. An meiner technischen Fakultät mit ihrem straffen Zeitplan undenkbar.

Finanzielle Unabhängigkeit

Du bist finanziell völlig unabhängig und hast kein Problem damit, über mehrere Jahre keine Einkünfte zu erzielen? Perfekt. Dann klappt’s auch mit dem Bachelorstudiengang der Naturwissenschaften oder Ingenieurwissenschaften an einer Universität. Denn wenn Dein Partner, Dein passives Einkommen oder Dein Erbe für Deinen Lebensunterhalt sorgen, kannst Du Dich vollends auf Dein Studium konzentrieren. Geld macht eben so vieles leichter. Auch das Studium.

Was mich betrifft, ich bin nach wie vor traurig, dass ich mein Studium zu so einem frühen Zeitpunkt beenden muss. So richtig abgeschlossen habe ich noch nicht damit. Ich lese nach wie vor noch das Chemiebuch, lade mir die Vorlesungsunterlagen von Mathe runter und besuche die Physikvorlesungen. Wenn mich jemand nach meinem Studium fragt, wird mir ganz schwer ums Herz und muss mich zusammenreißen nicht zu heulen. Aber ich genieße auch, wieder Zeit mit meinem Mann verbringen zu können oder Pläne zu schmieden, wie ich mein Business weiterentwickle. Lass‘ Dich aber auf jeden Fall nicht entmutigen, sondern geh‘ Dein Abenteuer Studieren über 40 an! Viel Freude und Erfolg dabei!

Nachtrag: Wie’s doch noch weiterging und welche zwei entscheidenden Erfolgsfaktoren fürs Studium über 40 ich nicht bedacht hatte, findest Du im Beitrag Wie man Chemie besteht – bei völliger Ahnungslosigkeit.